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Demonstrationen in Istanbul.

© AFP

Demonstrationen in Istanbul: Taksim ist nicht der Tahrir

Die Rebellion könnte die Türkei nun wieder Europa näherbringen. Wirkliche Medien- und Meinungsfreiheit, dazu die zivile Selbstbestimmung im Alltag zu erkämpfen, das allein schon wäre: eine kulturelle Revolution.

Im ersten Anblick erinnerten die Bilder vom Istanbuler Taksim-Platz auch an die Szenen auf Kairos Tahrir. Zwei Plätze als symbolstarke Orte der Volkserhebung. In Nordafrika galt die „Arabellion“ zuerst als Tyrannensturz, als befreiende Revolution. Inzwischen sind diese Träume zerstoben, und Ägyptens Frauen müssen sich unter Mohammed Mursis neuen islamistischen Gesetzen eher unfreier fühlen als zu Zeiten des säkularen Herrschers Mubarak.

Der Aufstand nun in der Türkei vereinigt offenbar viele Schichten aus linken und nationalkonservativen, aus weltlichen und religiösen Milieus. Gegen einen autoritären Ministerpräsidenten, der sich jetzt so gespenstisch gebärdet, als sei er dem Iran oder China näher als Europa. Als lerne er vom Moskauer Machthaber Putin.

Die Rebellierenden in Ankara und Istanbul sprechen hoffnungsvoll von einer zivilen „Revolution“. Sie fordern den Bruch mit Tayyip Erdogans immer stärker die bürgerliche Freiheit beschneidendem Regime. Revolutionen im Sinne von umwälzenden Macht- und Systemwechseln aber lassen sich immer erst von ihrem Ende her einschätzen. Die Französische Revolution mündete in die Alleinherrschaft Napoleons und eine neue Monarchie. In Russland folgte auf Zar und Lenin der blutige Stalin. Und wer und was nach dem syrischen Diktator Assad kommen mag, weiß der Teufel.

Hannah Arendt, die politische Philosophin, hatte in den 1960er Jahren gesagt, dass soziale, politische, wissenschaftliche und technische Revolutionen in unserer Moderne die Ära der Kriege ablösen würden. Dabei ließ Arendt den Zusammenhang mit neuen Bürgerkriegen noch ausgeblendet. Gerade Syrien zeigt, dass moderne und gar asymmetrische Bürgerkriege, die aus einer nationalen Freiheitsrevolte entstehen, heute zunehmend mit internationaler Beteiligung ausgefochten werden. Freilich ohne Beachtung des supranationalen Völkerrechts.

Dieses Jahr 2013 ist auch das Büchner- Jahr. Niemand hat poetischer und philosophischer, dramatischer und tiefsinniger über Revolution und Revolutionäre geschrieben als der 21-jährige Georg Büchner in seinem Debütstück „Dantons Tod“. Der Autor der revolutionären Flugschrift des „Hessischen Landboten“ – mit seinem Aufruf „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ – zitiert im „Danton“ den überlieferten Ausspruch eines Opfers im Angesicht der Guillotine: „Die Revolution ... sie frisst ihre eigenen Kinder.“

Fast gleichzeitig hat der vor 200 Jahren geborene Melancholiker, Mediziner und Revolutionsdichter vom „grässlichen Fatalismus der Geschichte“ gesprochen. Büchner wusste, dass aus Idealen schnell Ideologien werden und aus Befreiern, an die Macht gelangt, neue Unterdrücker. Die Revolution gebiert heute dank digitaler Netzwerke ihre Kinder in neuer Weise. Doch sie frisst sie wie früher.

Oder auch nicht. Der Taksim ist nicht der Tahrir, die Türkei befindet sich im Umbruch, gleichwohl noch nicht im Umsturz. Das Boomland am Bosporus ringt um eine moderne Identität – nach Atatürk, nach den Zeiten der Militärdiktatur, im Zwiespalt zwischen europäischer Aufklärung und Erdogans technokratischem Islamismus. Die Rebellion könnte die Türkei nun wieder Europa näherbringen. Wirkliche Medien- und Meinungsfreiheit, dazu die zivile Selbstbestimmung im Alltag zu erkämpfen, das allein schon wäre: eine kulturelle Revolution.

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